Essstörungen Kompakt-Info
Gesundheitswissen to go
Essstörungen
Essstörungen sind komplexe, ernstzunehmende psychische Erkrankungen. Sie bedürfen professioneller Behandlung, um schwere körperliche Auswirkungen bis hin zum tödlichen Ausgang zu vermeiden.
Vorab: Nicht aus jeder Diät entwickelt sich gleich automatisch eine Essstörung. Jedoch ist das Spektrum von Essstörungen sehr breit gefächert, so dass die Entstehung dieser chronischen, psychisch bedingten Erkrankung den Betroffenen selbst oder ihrem Umfeld unter Umständen erst nach und nach auffällt. Zu den bekanntesten Formen von Essstörungen gehören Magersucht (Anorexie) mit anhaltendem Untergewicht, Ess-Brech-Sucht (Bulimie) mit regelmäßigen Essanfällen und anschließendem bewussten Erbrechen und Binge-Eating mit heimlichen unkontrollierbaren Fressattacken ohne Erbrechen. Betroffen sind alle Geschlechter, vornehmlich in der Altersgruppe ab circa zehn Jahren bis etwa 35 Jahren.
- Magersucht (Anorexia nervosa)“: Betroffene vermeiden die Nahrungsaufnahme und hungern oder essen nurmehr 0-Kalorien-Lebensmittel bis hin zu „Füllstoffen“ wie Watte. Ziel ist es, jegliche Gewichtszunahme zu verhindern. Anorexie geht oft mit exzessivem Sporteln einher.
- Ess-Brech-Sucht (Bulimie): Gekennzeichnet durch extreme Essanfälle, denen im Anschluss selbst herbeigeführtes Erbrechen folgt, um die zu sich genommenen Kalorien wieder loszuwerden und einer Gewichtszunahme entgegenzusteuern. Bulimie ist oft schwer zu erkennen, da das Gewicht der Betroffenen meist im Normbereich liegt.
- Binge-Eating: Hierbei kommt es zu regelmäßigen Essattacken, oft mehrmals die Woche. Aus Angst vor Übergewicht flüchten sich viele Betroffene – insbesondere junge Männer – exzessiv in den Sport und es kann sich eine sogenannte „Sport-Bulimie“ entwickeln.
Die „eine“ Ursache gibt es nicht
Bei der Entwicklung einer Essstörung spielen meist mehrere auslösende Faktoren zusammen. Häufig liegen Themen zu Grunde wie ein geringer Selbstwert, gepaart mit hohen Leistungs- und Erfolgsansprüchen, Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen, familiäre Konflikte, kindliche Traumen etc. Betroffene gehen davon aus, mit der Kontrolle über ihr Essverhalten ihre Emotionen regeln zu können und ihr Leben somit vermeintlich im Griff zu haben.
Ein große Rolle spielt auch der gesellschaftliche Druck, der Schönheitsideale der jeweiligen Zeit suggeriert. Betroffene haben ein verzerrtes Körperbild (z. B. „Ich bin zu dick“/“Meine Figur ist nicht perfekt“). Dies wird durch Medien (Internet, soziale Netzwerke, Zeitschriften etc.) noch befeuert. Vor allem in der Pubertät, einer Zeit der Unsicherheit, Eigendefinition und körperlichen Veränderung, tendieren junge Mädchen – und zunehmend auch immer mehr Burschen – dazu, sich nach dem Körperbild zu richten, das ihnen über Werbung, InfluencerInnen etc. vermittelt wird.
Schwere gesundheitliche Folgen
Bleiben Essstörungen unbehandelt, drohen körperlich und psychisch schwerwiegende Komplikationen. Mangelerscheinungen, Kreislaufprobleme, Osteoporose sowie Schäden an Herz (Herzrhythmusstörungen etc.), Leber und Niere (Niereninsuffizienz) gehören zu den Gesundheitsrisiken. Insbesondere bei Anorexie besteht die Gefahr eines tödlichen Ausgangs durch sprichwörtliches Verhungern. Zusätzlich reagiert der Körper mit Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Gedächtnislücken, da das Gehirn aufgrund fehlender Nährstoffe abbaut. Auch der Hormonhaushalt ist gestört. Bei Mädchen und Frauen bleibt der Monatszyklus aus, die Lust auf Sexualität ist gehemmt, Männer leiden unter Potenzstörungen. Das häufige Erbrechen bei Bulimie verursacht nicht nur Störungen des Salz- und Wasserhaushaltes im Körper, sondern schädigt dauerhaft die Zähne und die Speiseröhre. Zudem können große Mengen an Nahrung bei extremen Essanfällen zum Einreißen des Magens führen. Auf psychischer Ebene leiden Betroffene häufig unter anderem unter Depressionen, Zwangs- und Angststörungen oder auch unter Substanzmissbrauch/ Medikamentenabhängigkeit (z. B. Appetitzügler).
Burschen und Männer auf dem Vormarsch
Entgegen der weitverbreiteten Annahme, Essstörungen kämen vornehmlich bei Mädchen und Frauen vor, zeichnet sich in den vergangenen Jahren ein besorgniserregender Trend ab: Die Anzahl betroffener Buben und junger Männer steigt kontinuierlich. So landeten 2018 um ganze 60 Prozent mehr Burschen im Alter von 12 bis 17 Jahren wegen einer Essstörung im Spital als noch zehn Jahre zuvor. Auch bei erwachsenen Männern wird ein deutlicher Anstieg bemerkt. Etwa acht Prozent der Männer mit Essstörungen sind an einer Magersucht erkrankt, etwa 15 Prozent an einer Bulimie und rund 20 Prozent an einer Binge-Eating-Störung.
Begleitet wird die „männliche“ Essstörung oft von übermäßigen sportlichen Aktivitäten. Letzteres verschleiert die Erkrankung häufig zunächst. Besonders zu beobachten ist dies bei sehr körperbetonten Sportarten wie Krafttraining, Kampfsport, Turnen, Skispringen oder Ballett. Für manche steht vor allem das Schlanksein im Vordergrund, für andere das Auftrainieren von Muskelmasse.
Frühwarnzeichen erkennen
Betroffene selbst sehen in ihrem Essverhalten meist nichts Krankhaftes. Umso wichtiger ist ein aufmerksames Umfeld wie Familie oder FreundInnen. Folgende Anzeichen, die nicht immer zwingend gleichzeitig auftreten, können auf eine Essstörung hindeuten:
- Veränderung des Essverhaltens: Übermäßiges Essen oder plötzliches völliges Desinteresse am Essen, übertriebenes Beschäftigen mit Nahrungsmitteln inkl. auffälliger Kontrolle darüber (z. B. Kalorienzählen) sowie über das Gewicht/die Figur und eine strenge, fast dogmatische Ernährung etc.
- Körperliche Veränderungen: Auffällige Gewichtszu- oder -abnahme, Merkmale von Mangelernährung, verschlechtertes Haut- und/oder Haarbild, Tragen von weiter Kleidung, um Gewichtsveränderungen zu verbergen, ausgeprägter und gezielter Muskelaufbau etc.
- Soziale und emotionale Verhaltensänderungen: Rückzug oder Isolation von sozialen Aktivitäten im „echten“ Leben, vornehmliches Aufhalten in virtuellen Welten (Internet, soziale Netzwerke), Probleme bei sozialen Anlässen, die mit Essen in Verbindung stehen,
Angst vor dem Essen bzw. zwanghaftes Verhalten nach selbigem (z. B. sofort nach dem Essen verschwinden, um zu erbrechen), Stimmungsschwankungen bis hin zur Depression, Gereiztheit, plötzliche Ängste etc.
- Körperliche Beschwerden: Herzstolpern, Schlafstörungen, Erschöpfung, Schwindel, Konzentrationsprobleme, Zyklusschwankungen, Magen-Darm-Probleme, Potenzstörungen etc.
Besteht der Verdacht auf eine Essstörung, empfiehlt es sich, die/den Betroffene/n zunächst vertraulich darauf anzusprechen. Unter Umständen kann der gemeinsame Besuch einer Beratungsstelle hilfreich sein.
Behandlung
In den meisten Fällen braucht es professionelle (psycho)therapeutische Unterstützung, um dem Teufelskreis einer Essstörung zu entkommen. Dies ist, je nach Schwere der Erkrankung, ambulant, tagesklinisch oder stationär möglich. Vorrangiges Ziel einer Therapie liegt darin, wieder „normal“ – also gesund und regelmäßig – essen zu lernen, die Nahrung bei sich zu behalten und dabei kein schlechtes Gewissen zu bekommen. Essen soll wieder als Genuss wahrgenommen werden können. Kompetente Anlaufstelle hierfür ist z. B. das Multidisziplinäre Versorgungszentrum für Essstörungen (MVZ) in Linz am Areal des Neuromed Campus des Kepler Universitätsklinikums. Ein multiprofessionell zusammengestelltes Team bietet dort die niederschwellige ambulante Versorgung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Essstörungen, individuell auf die Bedürfnisse der PatientInnen abgestimmt.